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14. Oktober 2018 | Höhere Biersteuer für mehr Prävention

Schaffhauser Nachrichten
Kari Kälin

Der Alkohol- und Bierkonsum sinkt seit Jahren langsam, aber stetig. 14 Prozent der Schweizer Bevölkerung sind sogar totale Abstinenzler, Tendenz zunehmend. Die Stiftung Sucht Schweiz ist dennoch alarmiert. Billiger Alkohol, schreibt sie in einem gestern publizierten Bericht, sei an jeder Ecke zu haben und omnipräsent im Internet. Zudem trinke jeder Fünfte risikoreich. Das heisst: Man schlägt punktuell völlig über die Stränge oder schluckt chronisch zu viel Alkohol. Unzufrieden ist die Stiftung mit der Politik. Anstatt Werbeeinschränkungen zu beschliessen, würden die Zeichen auf Deregulierung stehen. Das Eidgenössische Parlament hat zum Beispiel entschieden, den Alkoholverkauf auf Autobahnraststätten wieder zu erlauben.
Sucht Schweiz plädiert hingegen für eine höhere Biersteuer. Dass ein halber Liter in Supermärkten zum Teil nur 50 Rappen kostet, stösst der Stiftung bitter auf. «Ein Vollrausch ist so billig wie ein Butterbrot», sagt Sprecherin Monique Portner-Helfer. «Dass tiefe Preise den Konsum befeuern, ist eine Tatsache», ergänzt sie. Sucht Schweiz möchte den zusätzlichen Steuerertrag für die Prävention einsetzen. Wie stark die Steuer steigen soll, lässt die Stiftung offen. «Für jene, die einen problematischen Konsum aufweisen, sollte der Aufschlag spürbar sein», so Portner-Helfer.

**Pro Stange 8 Rappen für den Bund**
Die Biersteuer spült pro Jahr rund 113 Millionen Franken in die Bundeskasse. Seit 2007 gelten neue Bestimmungen: Je mehr eine Brauerei produziert, desto stärker langt der Fiskus zu. Im Durchschnitt beträgt die Steuer knapp 25 Rappen pro Liter. Wer am Stammtisch eine Stange konsumiert, beglückt den Bund mit rund 8 Rappen.
Marcel Kreber, Direktor des Schweizer Brauereiverbandes, wehrt sich gegen die Pläne von Sucht Schweiz. «Es herrscht kein alkoholpolitischer Notstand», sagt er. Es werde so wenig getrunken wie noch nie. Zur Frage, ob die Steuer ganz gestrichen werden soll, hat der Verband noch keine konsolidierte Haltung. Einerseits, so Kreber, entrichte niemand gerne Steuern. Mit der ­Abschaffung würden Konsumenten und Brauereien entlastet. Andererseits hätten sich diese mit der Steuer arrangiert. Dass kleine Brauereien weniger stark belastet werden als grosse, hat laut Kreber auch positive Effekte. «Diese Regeln fördern die Biervielfalt. Das bedeutet mehr Konkurrenz und mehr Innovation.»
Die helvetische Bierlandschaft blüht tatsächlich. Die Zahl der steuerpflichtigen Brauereien (ab 400 Liter) betrug Ende letzten Jahres 869. Das sind viermal mehr als vor 10 Jahren. Allerdings sind viele Kleinstbrauereien aktiv. Die 50 professionellen Brauereien produzieren 99,2 Prozent der inländischen Biere.
Mit der Abschaffung der Biersteuer wird sich derweil das Parlament befassen müssen. Nationalrat Claudio Zanetti (SVP, ZH) hält sie für völlig willkürlich, eine vergleichbare Steuer auf Wein existiere nicht. Für die Forderung von Sucht Schweiz zeigt Zanetti kein Verständnis: «Es geht nur darum, eine Geldquelle noch stärker anzuzapfen.» Offenbar vergönne die Stiftung den Arbeitern das preisgünstige Feierabendbier.

**Suchttendenzen in der Schweizer Bevölkerung**
Der Konsum von legalen und illegalen Suchtmitteln ist in der Schweiz in den letzten Jahren weitgehend stabil geblieben. Dies teilte gestern die Stiftung Sucht Schweiz mit. 25,3 Prozent der Bevölkerung sind Raucher. Sucht Schweiz kritisiert das Fehlen einer «stringenten Tabakpolitik, welche das Zigarettenrauchen mit einem Werbeverbot und einer wirksamen Steuer reduzieren würde». Die am stärksten verbreitete illegale Droge bleibt Cannabis. 7,3 Prozent der Bevölkerung haben sich im Jahr 2016 mindestens einmal einen Joint angezündet. 0,7 Prozent haben mindestens einmal Kokain konsumiert. Heroin nehmen vor allem Langzeitsüchtige.

**Hirndoping macht bei jungen Menschen vermehrt Schule**
Immer mehr junge Menschen greifen ins Medizinkästchen, um ihre kognitive Leistungsfähigkeit zu verbessern, das Gefühlsleben zu optimieren oder die Erholungszeit des Gehirns zu vermindern. Gemäss Sucht Schweiz haben 3,1 Prozent der 2016 vom Suchtmonitoring befragten 15- bis 24-Jährigen angegeben, in den letzten zwölf Monaten sogenannte Psychostimulanzien eingenommen zu haben. In der Gruppe der 20- bis 24-Jährigen lässt sich zwischen 2011 und 2016 gar ein Anstieg von 1,4 auf 3,3 Prozent ­beobachten.
Die meisten nehmen Energydrinks, Koffeintabletten, Tabak, Alkohol oder Vitamine zu sich, um länger wach zu bleiben und sich besser konzentrieren zu können. Doch nicht bei allen bleibt es dabei. In einer Studie bei 1400 im Schnitt 17jährigen Schülerinnen und Schülern im Kanton Zürich haben 2014 gut 9 Prozent der Befragten ­angegeben, zur kognitiven Leistungssteigerung auch schon zu Medikamenten gegriffen zu haben. Der Schlager unter den verschreibungspflichtigen Muntermachern: Methylphenidat, besser bekannt als Ritalinx.

**Wirkung nicht nachgewiesen**
In der Regel wird das Medikament Kindern und Jugendlichen zur Behandlung des Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndroms (ADHS) verschrieben. Es soll sie ruhiger machen. Bei gesunden Menschen bewirkt Ritalinx aber angeblich das ­genaue Gegenteil: höhere Ausdauer und gesteigerte geistige Fähigkeiten. Kein Wunder, wird Ritalinx seit Jahren als Hirndoping missbraucht – obwohl eine tatsächliche Wirkung bisher nicht nachgewiesen werden konnte. Am meisten verbreitet ist die Einnahme bei Studierenden. Der Trend stammt aus den USA, wo Ritalinx als Hirndoping für junge Menschen längst salonfähig ist.
Wie oft Kinder und Jugendliche ­Ritalinx oder andere «Cognitive Enhancer» à la Modafinil mit oder ohne ­vorliegende Diagnose tatsächlich einnehmen, lässt sich schwer abschätzen. Es gibt allerdings Anhaltspunkte: 1999 betrug die von Arztpraxen und Apotheken abgegebene Menge an Methylphenidat laut der Arzneimittelbehörde Swissmedic 38 Kilogramm; 2016 waren es mit 344 Kilogramm bereits neunmal mehr. Gleichzeitig stagnierte die Diagnosehäufigkeit von Kindern und Jugend­lichen mit ADHS bei 3 bis 5 Prozent.
Experten gehen deshalb davon aus, dass heute ein Grossteil des Ritalins nicht als Medikament, sondern als Hirndopingmittel verwendet wird – und das, obwohl die Verabreichung von Medikamenten zur Leistungssteigerung an Minderjährige nach geltendem Recht verboten ist. Sie warnen vor den Risiken des medikamentösen Hirndopings. «Zu den Gefahren zählen Abhängigkeit und bei übermässigem Gebrauch ähnliche Probleme wie bei Amphetaminen: Herzrasen, Aggression, Unruhe», sagt Markus Meury von Sucht Schweiz.
Neben Psychostimulanzien werden immer häufiger auch Antidepres­siva sowie Betablocker zur Stimmungsaufhellung und Stressreduktion eingenommen. Rund 2,5 Prozent der Studierenden greifen zu Cannabis, um sich zu beruhigen. Auch Speed, ­Kokain oder Ecstasy sind ein Thema, allerdings nur vereinzelt. «Das sind alles Symptome für den ­gestiegenen Druck auf junge Menschen – und es fängt bereits in der ­Primarschule an», moniert Meury. «Es ist ein Problem, das wir un­­bedingt im Auge behalten sollten.» (Gregory Remez)