Der nackte Jüngling ist weg

Schaffhauser Nachrichten
Damian Schmid

Den meisten Schülern der Kantonsschule wird es bereits aufgefallen sein: Die Skulptur «Männlicher Torso» von Karl Geiser, die seit bald 50 Jahren im Lichthof aufgestellt war, ist seit den Sommerferien verschwunden. Sie wurde entfernt, nachdem ein Lehrer auf die Pädophilie des Künstlers Karl Geiser aufmerksam gemacht hatte. Beim «Männlichen Torso» handelt es sich um die Abbildung eines nackten Jungen. «Kunst eines pädophilen Künstlers in einer Schule kann problematisch sein. Wir wussten noch nicht, wie wir damit umgehen», begründet der Rektor der Kantonsschule, Pasquale Comi, die Entfernung der Skulptur, welche jetzt im Archiv der Kanti steht.

**Amsler lobt den Künstler**
Erst von den SN erfuhr Erziehungsdirektor Christian Amsler von der Entfernung der Skulptur. Er lobt den Künstler in den höchsten Tönen: Geiser sei einer der bedeutendsten Schweizer Künstler überhaupt, sagt er. «Im Lexikon des Schweizerischen Instituts für Kunstwissenschaft wurde er mit vier Sternen bewertet.» Ob die Entfernung der Skulptur angemessen war, das werde er «in Ruhe mit dem Rektorat der Kantonsschule besprechen», so Amsler. Im Übrigen «wurden und werden Kunstwerke in Kantonsbesitz aufgrund ihres künstlerischen Werts angekauft und nicht wegen der Persönlichkeit des Künstlers oder der Künstlerin», sagte er.
Die Figur wurde der Kantonsschule anlässlich der Einweihung des Förderer-Neubaus 1967 von der Georg Fischer AG überreicht. Der Künstler Karl Geiser war zu diesem Zeitpunkt schon zehn Jahre tot. Er beging 1957 Suizid.
Die durch die Abwesenheit der Skulptur angeregte Diskussion möchte die Kanti laut Comi nutzen, um den Unterschied zwischen Künstler und Kunstwerk – auch ganz allgemein – zu thematisieren. Zudem biete der am ehemaligen Standort der Skulptur frei gewordene Platz Raum für gestalterische Eingriffe und künstlerische Interventionen. Es sei der einzige Ort, der solche Eingriffe erlaube, ohne die dominante Architektur des Fördererbaus zu stören. Ob der Torso definitiv aus der Schule verschwindet oder ob er seinen Platz im Mittelpunkt des Fördererbaus irgendwann zurückerhält, ist noch nicht entschieden.
Ganz verschwunden aus der Öffentlichkeit ist Geiser trotz der Aktion bei der Kanti dennoch nicht: Weiterhin im Freien stehen zwei Davidskulpturen beim Museum zu Allerheiligen.



So präsentierte sich der umstrittene Torso noch bis vor Kurzem im Lichthof der Kantonsschule.
Bild Bruno Bührer


24.9.2015
Schaffhauser Nachrichten
lbb

**Karl Geiser – Woher der Pädophilievorwurf kommt**

Ein «pädophiler Künstler» sei er, meint die Schulleitung der Kantonsschule Schaffhausen: In keiner Dokumentation sind die sexuellen Neigungen des Künstlers Karl Geiser (1898–1957) deutlicher herausgearbeitet als im Dokumentarfilm «Geysir und Goliath» (2010) des Zürcher Filmemachers Alexander J. Seiler. «Geiser machte aus seinen erotischen Vorlieben keinen Hehl», sagt der 87jährige Filmer gegenüber den SN. Er lässt in seinem Film den exzentrischen Zeichner, Bildhauer und Fotografen Geiser aus den Nachlassbriefen lesen. So berichtet der Künstler von seinem Werkaufenthalt in Paris 1927 prahlend von seinen Affären, etwa mit einer «Negerin» und «Araberknaben». Die Briefe waren an die grosse unerfüllte Liebe seines Lebens gerichtet: Sasha Morgenthaler, die Frau seines Mäzens. 1929 wird er verhaftet und muss für acht Tage ins Bezirksgefängnis Zürich: Ihm wird eine sexuelle Beziehung zu einem 18-Jährigen vorgeworfen. Geiser arbeitete stets mit Modellen – nackte Männer und Frauen aller Altersgruppen gaben sich in seinem Atelier in Zürich-Letten die Klinke in die Hand. «Das Atelier war für ihn auch der Raum der Liebe», so Seiler. «Mit den wenigen, aber umso wichtigeren Frauen seines Lebens wie mit den Knaben und Jünglingen, deren Schönheit er früh und immer heftiger verfiel.» Zwei der wichtigsten Werke Geisers, je eine Gruppe von nackten jungen Männern und Frauen aus dem Jahr 1938, steht übrigens noch heute in Bern – vor dem Haupteingang des städtischen Gymnasiums Kirchenfeld.



Exzentrisches Liebesleben: der Künstler Karl Geiser (Aufnahme von 1938).
Bild zvg


24.9.2015
Schaffhauser Nachrichten
lbb

**Um demontierte Skulptur ist eine Kunstdebatte entbrannt**

*Die Demontage einer Bronze­figur in der Kanti wegen der pädophilen Neigung ihres Erschaffers Karl Geiser (1898–1957) löst Diskussionen aus.*

Die Kantonsschule Schaffhausen steht hinter ihrem Entscheid, die Skulptur «Jünglingstorso» des Schweizer Bildhauers Karl Geiser von ihrem Platz im Lichthof im Neubau der Schule zu verbannen. Zuerst wolle man eine vertiefte Diskussion über Kunst und Künstler im Unterricht lancieren, erklären Rektor Pasquale Comi und sein Vorgänger Urs Saxer. Mit dem Thema Pädophilie müsse man heute anders umgehen als in den Jahren, wo die ­Figur installiert worden sei. Nach Regierungsrat Christian Amsler äussert sich jetzt auch ein früherer Kantonsschullehrer zum Vorgehen der Schulleitung. Und der Kunstkurator des Museums zu Allerheiligen wies auf die hohe Bedeutung Geisers in der Kunstwelt hin, von dem zwei sehr bedeutende Werke beim Münster stehen. Derweil wird klar, wieso der Vorwurf der Pädophilie gegen den Künstler erhoben wird.


24.9.2015
Schaffhauser Nachrichten
Flavio Razzino und Marc Liebenberg

**Entfernung einer Skulptur wirft Fragen auf**

*Die Entfernung der Figur «Jünglingstorso» des Künstlers Karl Geiser (1898–1957) wegen pädophiler Neigungen ihres Erschaffers sorgt für Verwunderung.*

Die Bronzeskulptur «Jünglingstorso» des bedeutenden Bildhauers Karl Geiser (1898–1957) wurde in den Sommerferien vom Lichthof der Kantonsschule Schaffhausen entfernt, nachdem ein Lehrer Anfang Jahr die Schulleitung darauf aufmerksam gemacht hatte, dass der Künstler eine pädophile Neigung gehabt haben soll (siehe SN von gestern). Den Entscheid verteidigt der damalige Rektor Urs Saxer gegenüber den SN: «Die Frage ist durchaus berechtigt, wie man sich zu so einem Kunstwerk stellen soll.» Immerhin, so Saxer, sei für das Thema Pädophilie heute eine grössere Sensibilität vorhanden als noch vor 50 Jahren, als die Statue, als Schenkung von GF, im Neubau aufgestellt wurde. «Heute haben wir ein Gesetz, welches in Fällen von Kindesmissbrauch lebenslange Berufsverbote vorsieht.» Deshalb habe man einen Diskurs über Kunst und Künstler anregen wollen. Entfernt worden sei der Jüngling im vergangenen Juli.
Pasquale Comi, seit 1. August dieses Jahres Rektor der Kantonsschule Schaffhausen, sagt: «Das war wahrscheinlich nicht ganz glücklich, aber im Nachhinein ist man immer klüger.» Denn jetzt werde eine wichtige Debatte über Kunst von umstrittenen Künstlern öffentlich geführt, «obwohl wir dar­über zuerst in der Schule hätten diskutieren wollen», so Comi. Bereits sei eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die derzeit ein Konzept für dieses vertiefte Nachdenken über Kunst entwickle. Nach den Herbstferien soll es losgehen.

**Geisers Spuren in Schaffhausen**
Dass die Figur weg ist, fiel jedoch schnell auf – kein Wunder, handelt es sich bei ihrem Schöpfer doch um einen Künstler, der in Schaffhausen unübersehbare Spuren hinterliess. Nicht nur in der Stadt Zürich beim Helvetiaplatz (Arbeiterdenkmal) oder bei der Walche (Löwen) stehen seine Skulpturen; Walther Bringolf – der mit dem Bildhauer persönlich und politisch befreundet war – bat den bereits berühmten Künstler 1946, ein Denkmal für die Bombardierung Schaffhausens am 1. April 1944 zu schaffen. Geisers Vorschlag gewann unter sechs weiteren Beiträgen – zur Ausführung gelangte das Denkmal jedoch nie. Am 4. Juli 1959 wurden auf Veranlassung Bringolfs aber zwei in Bronze gegossene David-Figuren von Karl Geiser in Schaffhausen enthüllt. Die eine, die Freiheit verkörpernde Fassung, zeigt David nackt und steht im Kräutergarten zu Allerheiligen, die andere, in Hirtenknabenart mit einer Hose bekleidet, fand an der Nordfassade des Münsters ihren Platz.
Zusammen mit diesen überlebensgrossen Arbeiten besitzt das Museum zu Allerheiligen fünf Geiser-Werke, wie Kunstkurator Matthias Fischer bestätigt. Zu den beiden Davids kommen ein Jünglingstorso «Heiri», das Modell für das Bombardierungsdenkmal und ein weiteres Artefakt. «Diese Arbeiten befinden sich im Depot», sagt Fischer. Die Entfernung des «Nackten Jünglings» mag er nicht kommentieren. Er sagt nur: «Das zeigt mir nur, dass Kunst in verschiedenen Zeiten unterschiedlich bewertet wird.»
Mit grosser Verwunderung hat auch der langjährige frühere Lehrer für bildnerisches Gestalten an der Kantonsschule, Edi Schwyn, von der Demontage des Jünglings erfahren: «Ich finde das an den Haaren herbeigezogen», kommentiert der pensionierte Lehrer das Vorgehen seiner Berufskollegen. Die Figur sei ihm seit seiner eigenen Schulzeit vertraut – im Fach Zeichnen hat sie seinen Schülern als Modell gedient. «Meiner Meinung nach hat die Figur nicht im Entferntesten etwas mit Erotik und Sexualität zu tun», so Schwyn. Von den Pädophilie-Vorwürfen gegenüber Geiser habe er bisher keine Kenntnis gehabt. «Ich bin aber der Meinung, dass man so etwas doch nicht einfach auf das Werk eines Künstlers übertragen kann!»
Die Debatte haben die Verantwortlichen mit der Entfernung des nackten Jünglings lanciert. Gut möglich ist jedenfalls, dass die Bronzeskulptur bald wieder im Lichthof der Kantonsschule Schaffhausen steht. «Ich kann mir das gut vorstellen, auch weil wir das Thema Kunst umstrittener Künstler nun in den Klassen, aber auch im Lehrerzimmer diskutieren», sagt Comi.



Erregte Anstoss: Nackter Jüngling aus Bronze im Lichthof der Kanti.
Archivbild SN



Karl Geisers überlebensgrosse David-Statuen: «Freiheits»-David im Kräutergarten des Klosters Allerheiligen und …



… David beim Münster Schaffhausen. Es sind Schlüsselwerke im Spätwerk des Bildhauers.
Bilder Selwyn Hoffmann


25.9.2015
Schaffhauser Nachrichten
r

**Kantonsschule wird heftig kritisiert**

*Bronzeskulptur*

Für Irritationen hat die diese Woche bekannt gewordene Entfernung einer Bronzeskulptur des renommierten Schweizer Bildhauers Karl Geiser aus dem Lichthof des Neubaus der Kantonsschule Schaffhausen gesorgt. Jetzt äussern sich Kunstsachverständige und Kulturschaffende über die Demontage des «Jünglings­torsos» nach fast 50 Jahren wegen der angeblichen Pädophilie ihres Erschaffers – und die Akteure aus der Kunstszene kritisieren die Schulleitung scharf. Für Katharina Epprecht, Direktorin des Museums zu Allerheiligen, ist die Entfernung der Figur «kaum nachvollziehbar», obwohl die zugrunde liegende Fragestellung durchaus legitim sei. Roger Ballmer vom Kunstverein meint, man müsste die Figur nicht aus der Öffentlichkeit entfernen, um sich differenziert darüber zu unterhalten. Die Kunsthistorikerin Tina Grütter findet die Argumentation schlicht «lächerlich». Und die beiden unter anderem mit bildhauerischen Arbeiten bekannt gewordenen Künstler Vincenzo Baviera und Bruno Ritter machen ihrem Ärger Luft. Derweil werden Erinnerungen wach an den letzten Kunstskandal in Schaffhausen im Jahre 1989.


25.9.2015
Schaffhauser Nachrichten
Edith Fritschi und Marc Liebenberg

**«Diskussion am völlig falschen Objekt»**

*Kopfschütteln löst bei Sachverständigen und Kunstschaffenden die Entfernung des «Jünglingstorsos» an der Kantonsschule aus.*

Die diese Woche bekannt gewordene Demontage der Skulptur «Jünglingstorso» des Bildhauers Karl Geiser begründet die Schulleitung mit den pädophilen Neigungen des bereits seit 58 Jahren toten Künstlers (siehe SN von gestern). Man wolle jetzt an der Schule eine Debatte darüber anregen, versprach Mitte der Woche Rektor ­Pasquale Comi. Gestern haben sich nun auch Vertreter der Schaffhauser Kunstszene in die Debatte eingebracht.
Um eine legitime Fragestellung handle es sich durchaus, meint Katharina Epprecht, seit Anfang des Monats Direktorin des Museums zu Allerheiligen. «Das Verhältnis zwischen der Person des Künstlers und seinem Werk könnte Anlass für eine wichtige und ­relevante Disskussion sein.» Man müsse dabei aber unbedingt der grundsätzlichen Eigenständigkeit des Kunstwerks gerecht werden.
Mit der Entfernung der Skulptur aus der Öffentlichkeit – dieser «kaum nachvollziehbaren Aktion» – torpediere die Kantonsschule jedoch im Grunde gerade das, worauf es ihr anscheinend ankomme. «Das Resultat der Auseinandersetzung mit dem Werk und seinem Urheber hat man mit der Demontage im Grunde bereits vorweggenommen. So ist die Disskussion am völlig falschen Ende aufgehängt – und am falschen Objekt», sagt Epprecht. Sie sehe denn auch nicht den geringsten Anlass, die beiden im Besitz des ­Museums befindlichen David-Skulpturen Geisers im Kräutergarten und beim Münster Schaffhausen in irgendeiner Weise dem öffentlichen Raum zu entziehen.

**Suche nach dem «pädophilen Blick»**
Sexualität führe in der Kunst zu vielen Missverständnissen, sagt Kunstvereinspräsident Roger Ballmer. «Wenn man nach einem ‹pädophilen Blick› von Künstlern in der Kunst sucht wird man fast in allen Gattungen und Epochen fündig.» Von der Renaissance bis in die Postmoderne malten und fotografierten Künstler nackte Kinder, oftmals in eindeutig lasziven Posen. Im vorliegenden Fall sei es erst einmal geboten, das Werk konsequent vom Künstler zu trennen, relevant sei einzig die Darstellung. «Die Grenze des Zeigbaren liegt meiner Meinung nach dort, wo Kinder sexualisiert, in lasziven Posen gezeigt werden.» Das sei bei ­Geisers Werk eindeutig nicht der Fall. «Wenn man eine solche Diskussion ernsthaft hätte führen wollen, dann hätte dies auch ohne Entfernung der Skulptur stattfinden können», sagt Ballmer.
Für die Kunsthistorikerin Tina Grütter, einstige Kuratorin der Kunstabteilung am «Allerheiligen», ist die Vermischung von Biografie und Werk eines Künstlers alles andere als gut. «Ein Werk kann sich doch weit über Persönliches hinausheben, und gerade schwierige biografische Gegeben­heiten können die Inspiration sein, dies erst in Kunst zu verwandeln», meint sie. Rembrandt zum Beispiel soll als Mensch sehr unangenehm gewesen sein. «Da dürfte man seine Kunst nicht mehr anschauen, wenn man nur noch Arbeiten, von moralisch sauberen Künstlern möchte.» Sie verweist auch auf die alten griechischen Skulpturen, die in der Kunstgeschichte unbestritten als hochwertig dastehen. «Wohl die meisten davon haben Künstler geschaffen, die sich an Jungenkörpern erfreut haben», sagt sie.

**Tina Grütter: Debatte lächerlich**
Grütter stört es, dass man heute viele Werke nur noch unter sexuellen Aspekten betrachtet und die künstlerische Qualität sekundär wird. «Karl ­Geiser hat seinen Platz in der schweizerischen Kunstgeschichte.» Er habe sich bei aller Stilisierung stets an die Natur gehalten und sei nicht ins ­Abstrakte gegangen, meint Grütter. Das sei mit ein Grund, weshalb die ­Modelle für Geiser eine wichtige Rolle spielten. «Wenn man Geiser aus so ­wenig stichhaltigen Gründen entfernt, dann müsste man auch Werke von ­Gubler wegtun.» Im Übrigen wisse man zu wenig über die Beweggründe und die Inspiration Geisers. Grütter hält die Debatte jedenfalls für lächerlich. «Wenn man so argumentiert, dann ­dürfen bald nur noch bigotte Leute und Moralapostel Kunst machen.»

**«Viele Museen müssten schliessen»**
Vincenzo Baviera, freischaffender Bildhauer in Beggingen, hat sich intensiv mit Karl Geiser befasst und lernte bei dessen Schüler Felix Kohn in ­Zürich, der nach Geisers Selbstmord sein Atelier übernommen hatte. «Klar, Karl Geiser stand offen zu seinen Neigungen, er hat sie aber eben auch als Problem wahrgenommen und darunter gelitten», sagt Baviera. Dass sich der Künstler jemals etwas Schlimmes zuschulden hat kommen lassen, bezweifelt er. «Wenn man jedes Kunstwerk nach den Unzulänglichkeiten seines Urhebers bewerten möchte», glaubt ­Baviera, «dann müsste man ganz viele Museen schliessen.» Zur Entfernung von Geisers Skulptur an der Kantonsschule meint er nur: «Das war wohl eine reine Panikhandlung vor lauterpolitical correctness, es geht aber an der Sache komplett vorbei.»
Bruno Ritter, im Bergell lebender Maler und Bildhauer aus Schaffhausen, ärgert sich über die Schulleitung ebenfalls sehr: «Dass eine so undifferenzierte Behauptung eines Lehrers dazu führt, dass eine Kommission einberufen wird, ist wirklich fasnachtsreif und disqualifiziert die Verantwort­lichen.» Das Problem liege also kaum bei Geiser und seiner Skulptur.

**Kunstskandal 1989 Als Herr Puls nicht ausstellen durfte**
Es ist nicht das erste Mal, dass man sich in Schaffhausen über einen Künstler aufregt: Schon lange vor der «Causa Geiser» hatte die Stadt einen «Kunstskandal. Es war im Jahre 1989, als die Ausstellung des österreichischen Künstlers Erwin Puls, die am 17. August in der Kammgarn eröffnet werden sollte, verboten wurde. Am Ruder war damals der sozialdemokratische Stadtpräsident Max Hess. Er und der gesamte Stadtrat seien einmütig zum Schluss gekommen, die städtische Liegenschaft Kammgarn nicht für die Puls-Schau zur Verfügung zu stellen, meldeten die SN am 17. August 1989: «Grund für diesen Entscheid sind pornografische Fotos sowie ein Videofilm mit pornografischen Szenen, die im Rahmen der Ausstellung gezeigt werden sollten.» Und weiter: «Der Entscheid des Stadtrates war unumgänglich, und unter Zeitdruck waren wir zu raschem Handeln gezwungen», betonten damals Hess und Baureferent ­Marcel Wenger. Sie begründeten den Entscheid damit, dass die Behörde im Vorfeld nicht über den Inhalt der Ausstellung, organisiert von der Kammgarn-Koordinationsgruppe ­(Kakoo) ­informiert worden sei. Erst kurz vor Eröffnung der Schau des Wiener ­Aktionskünstlers habe sich der Stadtrat in corpore vor Ort bei eine Führung ein Bild machen können. Einzelne Teile der Ausstellung empfand er «eindeutig als Pornografie», was Puls – der im Jahr 2003 verstarb – überhaupt nicht in Abrede stellte. Er bediene sich der Mittel der Pornografie, um zu zeigen, wie die Gesellschaft funktioniere, sagte er damals. Auf den Vorschlag, etwa ein Drittel aller Exponate zurückzuziehen, um die Ausstellung dennoch zeigen zu können, waren Puls und die Veranstalter nicht eingegangen. Der Stadtrat verbot also die Schau, auch wenn er einräumte, Kunst benötige einen grossen Freiraum, aber man habe der Öffentlichkeit gegenüber eine Verantwortung. Enttäuscht zeigten sich die Organisatoren, denen bewusst war, dass es sich um eine «brisante Ausstellung» handelte. Genau aus diesem Grund aber wäre der Künstler in den Ausstellungsräumen stets präsent gewesen, um die Diskussion mit den Besuchern zu führen. Diese kam dann nur ausserhalb zustande und wurde zum Stadtgespräch darüber, wo Kunst aufhört und Pornografie beginnt.



Kann man Werk und Künstler trennen? Walther Bringolf 1961 bei der Einweihung des Männertorsos «Heiri» von Karl Geiser im Museum.
Archivbild B. + E. Bührer


**Sotheby’s und Co. Karl Geisers Arbeiten tauchen regelmässig auf dem Kunstmarkt auf**

Karl Geisers Werke sind Stammgäste vor allem in Schweizer Auktionen. So wurde 2012 ein «Jüngling Akt» bei Christie’s in Zürich für 9600 Franken verkauft. Die Figur sieht der Bronze von der Kantonsschule Schaffhausen sehr ähnlich, im Gegensatz zu diesem lebensgrossen Werk war der bei ­Christie’s verkaufte Jüngling aber nur 44 Zentimeter hoch. 2011 bot Sotheby’s in Zürich eine 61 Zentimeter grosse Büste einer jungen Frau und zwei Grafiken für 6000 bis 8000 Franken an, das Los fand aber keinen Käufer. 2004 verkaufte Sotheby’s eine 55 Zentimeter hohe Büste einer «Frau mit Tuch» für 10 030 Franken. Deutlich günstiger, für um die 100 Franken, angeboten wurden Radierungen aus Serien, etwa «Drei nackte Jungen am Strand» aus einer Auflage von 40 Stück. (Auktion für moderne Kunst, 2009, Auktionshaus Michael Zeller).(zge)


26.9.2015
Schaffhauser Nachrichten
Eduard Schwyn

**Die Schwelle zum Erwachsenwerden**

*Im Mittelpunkt der Debatte über die entfernte Geiser-Skulptur an der Kantonsschule steht das Verhältnis: Leben in der realen Welt – Ausdrucksgestaltung in der Welt der Kunst.*

Da stand jemand nackt da, im Zentrum des schulöffentlichen Raums der Kantonsschule Schaffhausen. Der da entblösst stand, ist nicht aus Fleisch und Blut. Der leicht erhöht auf einem Sockel stehende Jüngling wurde in Bronze gegossen, ist daher unbeweglich, erscheint in seiner Haltung wie im Moment erstarrt. Das eigentliche Original wurde vom Künstler Karl Geiser (1898–1957) Schicht um Schicht mit dem Werkstoff Gips gebildet und später als plastische Vorlage für den Abguss genommen. Während fünfzig Jahren stand die Skulptur an ihrem Ort im Lichthof des Förderer-Gebäudes, nun wurde sie unverhofft entfernt. Die Begründung für diesen Schritt: Nicht die Nacktheit der Figur, vielmehr das dahinter liegende schiere Wissen um die angeblich pädophile Neigung des Künstlers erregte öffentliches Ärgernis seitens der Schulleitung.
Frontal stehende Jünglingsfiguren haben in der Kunstgeschichte eine weit zurückreichende Tradition. Die Abbildung rechts zeigt eine berühmte griechischarchaische Jünglingsskulptur, nämlich den nach seinem Fundort benannten Kuros von Anavyssos (552 v. Chr.). Wir kennen weder den Namen des Künstlers, noch haben wir Kenntnis darüber, ob er sein Leben den damals geltenden Verhaltensnormen entsprechend in moralischer Rechtschaffenheit gelebt hat oder nicht …
Was von ihm für uns erhalten geblieben ist, ist einzig und allein die von ihm aus Stein gebildete Skulptur. Diese Jünglingsfigur ist eine von mehreren, in ähnlicher Haltung und Wirkungsabsicht gestalteten Figuren aus dieser frühen Zeit. Es wird angenommen, dass diese Figuren in der Zeit ihrer Entstehung das Ideal des gereiften Jünglings verkörperten. Diese Figuren treten uns nicht düster und sich als aggressiv gebärdende Krieger entgegen, im Gegenteil, sie öffnen sich dem Betrachter mit einem leisen Lächeln. In einer ähnlichen Haltung erlebe ich die angesprochene Skulptur von Geiser, sie ist in ihrem körpersprachlichen Ausdruck und ihrer zutiefst menschlich warmen Ausstrahlung unmittelbar zugänglich.
Kunstwerke sind immer auch ein Teil der Lebenswirklichkeit ihres Schöpfers, sind Ausdruck des momentanen Daseins eines Menschen. Anlass für den schöpferischen Akt ist wohl immer die Verwurzelung in subjektiver Betroffenheit. Darin eingeschlossen sind auch erotische Impulse, der Trieb des Eros und die Sehnsucht nach seiner Erfüllung. Zusammen auch mit dem polaren Todestrieb sind sie Energien des Gestaltungsaktes, in dem Bewusstes und Unbewusstes, äussere und innere Realität unauflöslich ineinander verwoben sind. Im künstlerischen Tun, in der Literatur wie in der bildenden Kunst können auch sublime Energien als Ersatzhandlungen in der Gestaltung ausgelebt werden und zur Lebensbewältigung des Kunstschaffenden beitragen. Hoffnungen, Sehnsüchte und unerfüllte Wünsche können ins Werk einfliessen und anschaulich manifest, allenfalls von der Gesellschaft im Kunstwerk auch akzeptiert werden. Sollte die sexuelle Neigung des Gestalters jener jetzt in den Fokus einer Debatte geratenen Jünglingsfigur in sein Werk eingeflossen und dort ablesbar sein, nähme die Diskussion einen wesentlich anderen Verlauf. Dies vor allem, weil die Figur im öffentlichen Raum steht.
Nicht etwa die geäusserte Kritik der pädophilen Neigung des Künstlers, sondern deren Übertragung auf sein geschaffenes Werk ist für mich im Anblick dieser Figur unhaltbar.
Dieses Ansinnen vermag der Figur in ihrer würdevoll strahlenden Schlichtheit nichts anzuhaben. Sie ist vollendeter Ausdruck einer Vergegenwärtigung: der junge Mensch an der Schwelle zum Erwachsenwerden. An seinem angestammten Ort bringt dieses Werk menschliche Wärme in die kühle Atmosphäre des Lichthofs.
Durch die Rücknahme ihres Entscheids verliert die Schulleitung keineswegs ihr Gesicht, im Gegenteil: Sie gewinnt an Profil.

*Eduard Schwyn(*1948) ist Kunstpädagoge und war von 1973 bis 2013 Lehrer für bildnerische Gestaltung an der Kantonsschule Schaffhausen. Er war 1985 Co-Gründer des Vereins Bildender Künstler Schaffhausen und arbeitet heute als Kunstschaffender.*



Weit zurückreichende Tradition: Kuros von Anavyssos (552 v. Chr.).
Bild zvg


26.9.2015
Schaffhauser Nachrichten
Leserbrief von Silvio Crola

**Kunst als Stein des Anstosses?**
*Zu «Diskussion am völlig falschen Objekt», SN vom 25. 9.*

Während 35 Jahren meines Berufslebens bin ich täglich am Bronze-Jüngling im Lichthof der Kanti vorbeigegangen und habe mich stets gefreut, wie überzeugend diese Statue im Kontext dieses Raumes ihren Platz einnimmt. Eine Verbindung mit der angeblichen Pädophilie ihres Schöpfers Karl Geiser wäre mir nie und nimmer in den Sinn gekommen. Was jetzt als Argument für ihre Entfernung angeführt wird, wirft kein gutes Licht auf die kulturfeindliche Geisteshaltung der selbst ernannten Sittenwächter. Die Entfernung dieses Kunstwerkes ist aber auch eine Respektlosigkeit gegenüber den Donatoren und dem Architekten W. M. Förderer. Ich hoffe, dass der Erziehungsdirektor Christian Amsler mit seinen vernünftigen Argumenten die Schulleitung dazu bewegen kann, die unsinnige Massnahme rückgängig zu machen. Der Bronze-Jüngling gehört unverzüglich wieder an seinen ­angestammten Platz!

26.9.2015
Schaffhauser Nachrichten
Leserbrief von Walter Seiler

**O tempora, o mores**
*Zu «Diskussion am völlig falschen Objekt», SN vom 25. 9.*

Nach fast 50 Jahren friedlicher und weitgehend unbeachteter Existenz an der altehrwürdigen Kanti ist die Skulptur eines nackten Jünglings des renommierten und vermeintlich pädophilen Künstlers Geiser von seinem Standort entfernt worden. Ich möchte mich im Namen einer alternden Mutter (92), die in den 60er-Jahren ihre vier Kinder völlig verantwortungslos dem Anblick dieser Skulptur ausgesetzt hatte, bedanken für diesen raren Heiterkeitsanfall, den diese Aktion bei ihr ausgelöst hat.

26.9.2015
Schaffhauser Nachrichten
Leserbrief von Eduard Looser

**Kontraproduktive Skandalisierung**
*Zu «Diskussion am völlig falschen Objekt», SN vom 25. 9.*

Die Diskussion über die Entfernung des nackten Bübleins beziehungsweise über die Pädophilie des Künstlers gehört in die Kantonsschule. Es gibt dort genügend Leute, junge und alte, die sich aus den verschiedensten Blickwinkeln mit den aufgeworfenen Fragen befassen können. Der Skandalisierungseifer ist kontraproduktiv und nimmt der Kanti ein Thema aus der Hand, dessen Bearbeitung sogar ­locker in den Bildungszielen der Institution Platz hat. Da kommt es dann nicht darauf an, ob die Skulptur auf dem Lichthof oder im Archiv steht. Zudem kommt noch, dass in unserer Gesellschaft Pädophilie keine Quantité négligeable ist, wie man im Zusammenhang mit den Vorwürfen beispielsweise an Priestern sieht. Also kann man die Diskussion ruhig auch echt zulassen, ausser man macht darin einen Unterschied zwischen Priestern und Künstlern.


26.9.2015
Schaffhauser Nachrichten
Zeno Geisseler

**Geisers Demontage**

Während fast 50 Jahren zierte der «Jünglingstorso» von Karl Geiser den Lichthof der Schaffhauser Kantonsschule. Nun ist der Bronzebub ins Archiv verbannt worden, wegen der pädophilen Neigungen seines seit beinahe 60 Jahren toten Erschaffers. Dieser hatte zeitlebens immer wieder offen über seine sexuelle Orientierung gesprochen, sie wurde in Ausstellungen seiner Werke auch thematisiert. An der Kanti hat nun ein Lehrer ebenfalls Geisers Vergangenheit aufgedeckt und Alarm geschlagen, und die Schulleitung hat sein Werk, es zeigt einen nackten Jungen ohne Arme, entfernen lassen. Temporär, wie sie sagt.

**Werk und Erschaffer zu trennen, ist nicht immer so einfach**
Es war eine Handlung, für die man auf den ersten Blick schon ein gewisses Verständnis aufbringen kann. Ein Bildnis eines unbekleideten Kindes! Erschaffen von einem pädophilen Künstler! Ausgestellt in einer Schule! Das geht doch nicht!
Oder etwa doch? Unbestritten scheint unter den Fachverständigen, dass man Werk und Künstler trennen müsse. Die Arbeit müsse auch für sich alleine bestehen. Dies ist natürlich umso einfacher, je älter ein Werk ist und je weniger man vom Künstler weiss. Schwieriger wird es hingegen, wenn die Biografie eines Künstlers dessen Werk weit überstrahlt. Die Aquarelle eines österreichischen Malers aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert wirken auch harmlos, bis man erfährt, dass der Künstler Adolf Hitler heisst.
Bei Geisers Werk wird die jüngste Debatte um seine sexuellen Vorlieben eine Zeit lang kaum von seinen Arbeiten zu trennen sein. Wer erfährt, dass Geiser sich zu Knaben hingezogen fühlte, betrachtet seine zahlreichen Standbilder, Zeichnungen und Fotografien von nackten Kindern möglicherweise ganz anders. Und wer sich gar getraut, Geisers Werke trotz dieses Ballasts zu sammeln, zu schätzen, ­zugänglich zu machen oder zu verteidigen, gerät schnell in den Verdacht, dessen Pädophilie zu verharmlosen oder insgeheim sogar gutzuheissen.
Das ist natürlich Quatsch. Es ist doch ein Zeichen einer freien Gesellschaft, Kunst mit all ihren Abgründen, Widersprüchen und Widerlichkeiten zu ertragen, eben auch dann, wenn man mit dem Künstler selbst nicht einverstanden ist oder ihn sogar verabscheut.
Oder wäre es etwa besser, man würde nur noch moralisch und ethisch einwandfreie Werke sammeln und ausstellen, die von ebenso moralisch und ethisch einwandfreien Künstlern erschaffen worden wären? Wer bestimmt dann, was «reine Kunst» ist und welche Künstler genehm sind? Irgendein Komitee oder eine Akademie? Oder etwa die Politik? Das geht, aber nur in totalitären Staaten wie Nazideutschland. Dort wurde «entartete», also politisch nicht korrekte Kunst gebrandmarkt, verboten und verbrannt.
Würde man Kunst nur noch nach strengen ethischen Kriterien beurteilen, dann müssten viele Museen gleich schliessen. Nicht nur wegen allfälliger nackter Kinder. Das Elfenbein, aus dem jahrhundertealte asiatische Götterstatuen geschnitzt sind, stammt nicht unbedingt von Lieferanten, die das Internationale Artenschutzabkommen unterzeichnet haben. Und unter welchen Umständen Gold und Edelsteine in antiken Preziosen geschürft wurden, will man lieber auch nicht so genau wissen.

**Warum wird genau der Gegenstand entfernt, über den man reden will?**
Bei Geisers Jüngling stellen sich noch weitere Fragen. Die Statue ist ­integraler Teil des Baus, Architekt Förderer platzierte sie persönlich. Steht es dem Lehrkörper grundsätzlich eigentlich zu, nach eigenem Gutdünken und ohne Absprache mit der Gebäudebesitzerin am Bau Veränderungen vorzunehmen? Darf eine Lehrerin, der die blanken Betonwände im Förderer-Bau auf die Nerven gehen, auch mal rasch zum Pinsel greifen? Wohl kaum.
Und wieso entfernt man eigentlich genau den Gegenstand, über den man, wie die Lehrer bezeugen, eine Diskussion führen will? Dies, nachdem der nackte Jüngling fast ein halbes Jahrhundert an seinem Platz gestanden hatte, ohne dass Tausende von traumatisierten Maturandinnen und Maturanden von dieser Schule abgingen?
Diskussionen über Kunst sind schön und gut, aber als ersten Schritt sollte die Kanti jetzt vor allem eines tun: Geisers Jüngling schleunigst aus dem Archiv holen und wieder in den Lichthof stellen.


30.9.2015
Schaffhauser Nachrichten
Leserbrief von Ursula Frey

**Der Jüngling kann im Archiv bleiben**
*Zu «Geisers Demontage», SN vom 26. 9.*

Wenn ich die Statue des jungen Mannes anschaue, fällt mir auf, dass er keine Hände und keine Unterarme hat. Das bedeutet, dass er nicht handeln kann, zur Untätigkeit gezwungen ist und dass er wehrlos ist. Dies sind Eigenschaften, die wir jungen Menschen gerade nicht wünschen! Aus diesem Grund bin ich der Ansicht, dass die Statue im Archiv bleiben kann. Sie könnte auch im Museum ausgestellt werden. Für die Kantonsschule wünschte ich mir ein lebensbejahenderes Kunstwerk. Vielleicht findet sich eines von einem zeitgenössischen Schaffhauser Künstler?

30.9.2015
Schaffhauser Nachrichten
Leserbrief von Klaus Unger

**Sofortige Relozierung des «Jünglingstorsos»**
*Zu «Geisers Demontage», SN vom 26. 9.*

Arme Kantonsschule. Läufst Gefahr, Opfer pädophiler Übergriffe zu werden durch eine Jünglingsskulptur, die keine Hände hat, und durch ihren längst verstorbenen Gestalter und machst dich, bedauer- und ärgerlicherweise auch für einen ehemaligen Lehrer, lächerlich in der ganzen Schweiz und anderswo durch einen Akt, der von unglaublicher Borniertheit, Anmassung und vor allem von Unverständnis zeugt, was das Verhältnis von Künstler und Werk angeht.
Wenn der Lebenswandel eines bildenden Künstlers, Schriftstellers, Komponisten etc. bestimmend für sein Werk wäre, das heisst für dessen Beurteilung und Wertung im Sinne engstirniger Sittenwächter, dann müssten zahllose Werke aus dem öffentlichen Raum, der öffentlichen Darbietung und insbesondere aus dem Kanon der Kantonsschullektüren schnellstens entfernt werden.
Mit anderen Worten: Bei der aufgeklärten und wissensfundierten Wahrnehmung und Beurteilung von ernst zu nehmender Kunst ist das Leben des Künstlers schon längst Nebensache, es sei denn, es muss die fehlende Sub­stanz des Werks ersetzen. Hingegen ist es ein zentrales Qualitätsmerkmal, in welchem Masse der Künstler jenseits seiner individuellen Biografie eine allgemeingültige menschliche und artistische Wirklichkeit zu schaffen vermag.
Daher braucht es jetzt an der Kantonsschule keine Diskussion über das Verhältnis von Künstler und Werk, sondern die sofortige Relozierung der Skulptur an den angestammten Ort, zumal ihr dieser vom Architekten mit Bedacht zugewiesen wurde. Auch ihm gegenüber ist die «Verwahrung» der Skulptur eine Respektlosigkeit.


3.10.2015
Schaffhauser Nachrichten
**SMS-Umfrage**

Das Ergebnis:
«Jünglingstorso»: Soll die Skulptur wieder in der Kanti aufgestellt werden?
Ja81 %
Nein19 %
Klare Aussage: Die Umfrageteil­nehmer wünschen sich, dass die ­Kantonsschule Karl Geisers Jünglings-Skulptur wieder ausstellt.


7.10.2015
Leserbrief von Erwin auf der Maur

**Es kommt auf den Betrachter an**
Zur SMS-Umfrage über Karl Geisers Jünglingstorso, SN vom 3.10.

Die SN-Umfrage hat mit 81:19 ergeben, dass der unbekleidete Jüngling wieder in der Kanti aufzustellen sei. Wer sich immer noch daran stossen könnte, müsste beantragen, dem holden Knaben sein Glied abzunehmen. Er steht ohnehin ohne Hände da. Oder ein Tüchlein an der besagten Stelle wäre hilfreich.
Der Schaffhauser Kantonsrat hatte vor einem halben Jahrhundert eine neue Wasserversorgung in der Nähe von Tengen-Blumenfeld besichtigt. Dort musste auch ein künstlerischer Schmuck her. In der Reservoirstation hat man die Statue eines hübschen Mädchens aufgestellt. Sie stand auf einem Sockel über dem Brunnen. Für das Wasserlassen wäre jedoch eine männliche Figur geeigneter gewesen. Die weise Lösung wurde gefunden: Weil vom kritischen Ort der jungen Maid das Wasser an den Beinen entlang hinuntergelaufen wäre, hat man den Ausfluss aus der Statue an den kleinen Finger verlegt. Gut so!
Heute sagt man etwa der katholischen Kirche nach, sie sei prüde. Wer sich die herrlichen Barockkirchen in Deutschland und in der Schweiz ­anschaut, trifft viele Nackedeis an: Putten und unbekleidete Engelchen zieren Altäre und Deckengemälde. Weder betende Nonnen noch fromme Gläubige stossen sich daran. Prüde Besucher in Rom müssten in der Sixtinischen Kapelle und in den Vatikanischen Museen ihr Auge schliessen. Es kommt darauf an, in welcher Gesinnung Kunstwerke den Besucher er­götzen.


20.10.2015
Schaffhauser Nachrichten
Damian Schmid

**Der «Jüngling» ist noch nicht zurück**

*Die Entfernung einer Bronzeskulptur aus dem Lichthof der Schaffhauser Kantonsschule sorgte für hitzige Diskussionen. Zum Schulstart fehlt der «Jünglingstorso» jetzt aber immer noch.*

Die Herbstferien sind zu Ende, und die Kantonsschüler sitzen wieder in ihren Bänken. Nur einer ist nicht zurückgekommen; der Sockel im Lichthof der Kanti, auf dem sich seit fast 50 Jahren der «Jünglingstorso» des Künstlers Karl Geiser befand, bleibt leer. Dort, wo einst die Bronzestatue stand, sitzen in der grossen Pause nun Schülerinnen und Schüler und geniessen ihr Pausenbrot.
Der «Jünglingstorso» wurde der Kantonsschule Schaffhausen 1967 anlässlich der Einweihung des Förderer-Baus von der Georg Fischer AG geschenkt. Nachdem die Bronzeskulptur fast 50 Jahre lang den Lichthof der Kanti geziert hatte, wurde sie in den Sommerferien von der Schulleitung entfernt. Begründet wurde die Aktion mit der angeblichen Pädophilie des renommierten Schweizer Bildhauers Karl Geiser (1898–1957). Als die SN auf das Fehlen der Statue aufmerksam machten, entbrannte in der Stadt Schaffhausen eine heftige Debatte. Während manche Leute das Vorgehen der Schulleitung verstehen, sind sich die Kunstverständigen der Region ­einig: Kunstwerk und Künstler müsse man voneinander trennen können, die Statue gehöre zurück an ihren Platz.
Derselben Meinung sind anscheinend auch andere Schaffhauser. Bei einer SMS-Umfrage wollten 81 Prozent der Teilnehmer die Statue wieder an ihrem alten Platz ausgestellt wissen.

**«Nächste Woche wird entschieden»**
Bei den Kantischülern löst das Fehlen der Skulptur unterschiedliche Reaktionen aus. Manche sind mit der Entfernung der Statue einverstanden, manche vermissen den nackten Jüngling, und wieder anderen ist das Thema anscheinend völlig egal.

**Doch wie geht es weiter mit dem «Jünglingstorso»? Darf er irgendwann wieder zurück auf seinen Sockel?**
Was mit der Bronzeskulptur geschieht, ist noch ungewiss. Kanti-Rektor Pasquale Comi sagt, dass die Angelegenheit vorerst in Ruhe mit der Lehrerschaft, der Schulleitung und dem Erziehungsdepartement besprochen werden müsse. Das sollte im Verlauf der nächsten Woche geschehen. Und bis über das weitere Vorgehen in der Causa «Jünglingstorso» nicht entschieden ist, will sich Comi zum Thema nicht mehr äussern. «Ich habe schon meine Ideen», sagt er. Es gehe aber nicht allein um seine Vorstellungen.

**Rückkehr wahrscheinlich**
Geäussert hat sich der Rektor gegenüber den SN aber eigentlich bereits vor den Herbstferien. Damals sagte er, dass er sich eine Rückkehr der Bronzeskulptur an ihren ­ursprünglichen Platz gut vorstellen könne. Erziehungsdirektor Christian Amsler hatte, als er von der Entfernung der Statue erfahren hatte, äusserst positiv über den Künstler Geiser gesprochen. Ausserdem war er der Meinung, dass es bei einem Kunstwerk auf dessen künstlerischen Wert und nicht auf die Persönlichkeit des Künstlers ankomme. Es scheint also sehr wahrscheinlich, dass der «Jünglingstorso» bald wieder abgestaubt und in neuem Glanze im Lichthof ausgestellt wird.


29.10.2015
Schaffhauser Nachrichten
Pascal Schmidlin

**Karl Geisers Statue «Franz» wird wieder aufgestellt**

* Kantonsschule*

«Ich habe fertig», sagt Pasquale Comi, Rektor der Kantonsschule Schaffhausen zur Diskussion rund um die Jünglingsstatue «Franz» von Karl Geiser gegenüber den SN. Diese fand gestern ihren Abschluss mit dem Entscheid, dass ab Montag, dem 9. November, «Franz» wieder an alter Stätte aufgestellt wird. Die Kantonsschule teilte dies gestern in einer Medienmitteilung mit. Die Skulptur wurde über die Sommerferien von ihrem Standort im Lichthof des Kantonsschule-Neubaus entfernt und ins Archiv verschoben (die SN berichteten).
Die Entfernung der Statue hatte unter Kunstkennern Kopfschütteln ausgelöst. Man müsse das Objekt vom Künstler trennen, lautete der Tenor unter den Kritikern der Aktion. «Die Statue wurde aufgrund der durchaus ernst zu nehmenden Problematik, der belegten Pädophilie des Künstlers in Verbindung mit dem Gegenstand, dem Standort der Skulptur und der veränderten gesellschaftlichen Wahrnehmung der Problematik, entfernt, wenn auch etwas voreilig», heisst es in der Mitteilung.

**Diskussion erwünscht**
Das Objekt «Franz» – der Knabe hiess übrigens wirklich so – zeige einen unsicheren, wehrlosen und zerbrechlichen Jüngling ohne Arme und werfe viele Fragen auf, so Comi. Etwa, ob er für die unvollendeten Menschen auf dem Weg zur Reife stehe oder eine Etappe in der persönlichen Verarbeitung der pädophilen Neigung des Künstlers darstelle. «Wir haben intern viele Diskussionen über diese Fragen geführt», schreibt Comi in der Medienmitteilung. Die beteiligten Personen seien ausnahmslos zum Schluss gekommen, dass man – da die hohe künstlerische Qualität der Skulptur feststeht und im Grundsatz von der Person des Künstlers zu trennen ist – diese Fragen in Zukunft im Wissen um Geisers Biografie und in Anwesenheit der Statue stellen und diskutieren werde. «Die Lehrer finden es wichtig, dass diese Diskussion geführt wird und dass sie am Objekt geführt werden kann», sagt Comi.
Deshalb wird ab übernächstem Montag die Bronzeskulptur wieder an ihrem angestammten Platz im Lichthof der Kantonsschule stehen.


10.11.2015
Schaffhauser Nachrichten
Damian Schmid

**Der Bronzejüngling «Franz» kehrt zurück in altem Glanz**

*Für Wirbel gesorgt hat die Entfernung einer Skulptur an der Kanti. Jetzt steht der Jüngling wieder im Lichthof.*

«Franz» ist wieder zurück an seinem alten Platz im Neubau der Kanti. Unscheinbar wie eh und je steht er da auf seinem Sockel, und nichts erinnert mehr an die Aufregung, für die der Bronzeknabe – oder die Entfernung ebenjenes – in den letzten Monaten gesorgt hat. «Ich habe noch nicht einmal gemerkt, dass ‹Franz› wieder hier ist», sagt die Kantonsschülerin Annina Stoll. Viel stärker aufgefallen sei ihr das Fehlen der Skulptur seit den Sommerferien. Vithya Shangar, ebenfalls Kantonsschülerin, findet es gut, dass «Franz» wieder da ist. «Er gehört einfach zur Kanti dazu», findet sie.

**Diskussion entfacht**
Aufgrund von Vorwürfen der Pädophilie gegenüber dem Schweizer Bildhauer Karl Geiser (1898–1957) war die Jünglingsfigur in den Sommerferien provisorisch entfernt worden. Die Demontage der Skulptur wollte die Schulleitung nutzen, um eine Diskussion über Künstler und Kunstwerk anzuregen. Dabei hatten sie allerdings kaum damit gerechnet, dass die Entfernung des Jünglingstorsos auch ausserhalb der Kanti zu kontroversen Diskussionen führen würde. Kunstverständige aus der Region waren sich einig: «Franz» gehöre zurück an seinen alten Platz, denn die Kunst müsse vom Künstler getrennt werden. Nach den Herbstferien entschied die Schul­leitung dann, in Absprache mit dem Erziehungsdepartement, den Jüngling wieder im Lichthof der Kanti aufzu­stellen.